Feste und Stiertreiben

Sportliche Spektakel zwischen Menschen und Stieren werden traditionell im Sommer und Herbst überall in der Provence dargeboten und sind eine großartige Touristenattraktion. Besonders „La Course Camarguaise“ zieht die Menschen in die Stierarenen und verspricht einen spannenden, prickelnden  und für die Akteure nicht ungefährlichen Wettstreit der Geschicklichkeit und des Mutes.

Auszug aus dem Genre-Mix Krimi „Im Zeichen der Zwillinge“

… Der Course Camarguaise ist ein unblutiger Stierkampf. Es ist keine Tierquälerei, sondern ein sportliches Spiel, ein Kräftemessen zwischen Mensch und Tier und für den Stier völlig ungefährlich. Statt Toreros gibt es hier Raseteurs, ganz schlicht in weiß gekleidet. Zum Auftakt erschienen zehn Männer in der Arena, ihre Namen wurden über Lautsprecher verkündet.
Dann wurde der Stier in die Arena gelassen. Auch er wurde mit Namen vorgestellt. Zunächst hielten sich die Männer zurück, der Stier trabte durch die Arena, wirbelte Sand auf und zeigte sein Temperament. Einige der Männer liefen nun vor dem Stier her, wobei einer von ihnen die Aufmerksamkeit des Tieres auf sich zog, während ein Raseteur von der Seite auf den Stier zusprang, um ihm eines der Bändchen, die zwischen den Hörnern befestigt waren, abzureißen.
Sieger ist immer derjenige, der nach zehn Minuten die meisten Bändchen hat. Das kann je nach Geschicklichkeit und Schnelligkeit ein Raseteur oder der Stier sein. Sobald sich einer der Männer in Weiß dem Stier näherte, peste dieser dem Mann mit gesenkten Hörnern hinterher. Jetzt musste der Raseteur blitzschnell sein und sich mit einem akrobatischen Sprung über die Bande retten. Ein kampfeslustiger Stier kann da schon mal den Po oder ein Bein des Flüchtenden mit dem Horn erwischen. Das geht aber meist mit leichteren Blessuren ab. Es kann schon auch mal sein, dass ein rasender Stier dem Raseteur über die Bande hinterherspringt. Nach jeder Runde gibt es Applaus, nicht nur für die mutigen Männer, sondern auch für die kampfesmutige Leistung des Stiers.

 

»Spannend! Das muss man schon mal gesehen haben.«
»Da können mir die grausamen Stierkämpfe der Spanier gestohlen bleiben«, pflichtete Clara bei…

Ein weiterer Auszug aus „Im Zeichen der Zwillinge“

Abrivado

… Im Ortskern war die Straße gesperrt, vor den Gehsteigen waren die Absperrgitter für das Stiertreiben aufgestellt. Jonas und Clara reihten sich in die Menge der Schaulustigen ein. Gespannt warteten alle auf das Abrivado, das Stiertreiben. Man hörte schon das Klappern der Pferdehufe. Zehn Reiter, mit schwarzen Hüten und den bunt gemusterten Hemden der Camargue, stürmten auf ihren weißen Pferden in wildem Galopp durch die Straße. In der Mitte der Reitergruppe trabten vier schwarze Jungstiere mit, umzingelt von den Reitern, zusammengepfercht von den Flanken der Pferde.
Dem rasenden Tross folgten johlend die Dorfburschen. Es galt wieder Mut zu zeigen. Wenn hin und wieder ein Stier aus der Gruppe ausbrach, waren ihm die Mutigsten gleich auf den Fersen und versuchten ihn am Schwanz oder an den Hörnern zu packen. Ein Mordsspektakel! Teilnehmer wie Zuschauer hatten ihren Spaß. Rasant, wendig und behände zeigten Reiter, Pferde und Stiere eine unglaubliche Geschicklichkeit. Wenn eine Reitergruppe mit ihren Stieren am Ende der Straße angekommen war, warteten die Zuschauer auf den nächsten Trupp. So wiederholte sich das wilde Rennen mit wechselnden Gruppierungen, allesamt Stier- und Pferdezüchter aus der Camargue, deren Namen über Lautsprecher verkündet wurden.

Nach dem Abrivado wurden die Absperrgitter abgebaut, die Zuschauer strömten zum Rathausplatz, wo lange weiß gedeckte Tafeln zum Mittagessen einluden. Am Rand des Festplatzes stand ein riesengroßer Grill. Clara und Jonas beschlossen, sich unter die Einheimischen zu mischen. Sie kauften einen Verzehrbon für das Menü und fanden noch Platz neben einem älteren Paar. Auf dem Tisch lag die Menukarte. Im Preis eingeschlossen waren Salat, Paella, Käse, Dessert und Getränke. Wein- und Wasserflaschen standen schon auf den Tischen bereit. Ein sagenhaftes Preis-Leistungs-Verhältnis!
Während die Salate serviert wurden, kamen sie mit ihren Tischnachbarn ins Gespräch. Es war ein nettes Ehepaar aus Lyon, das alljährlich einige Wochen Urlaub in der Provence verbrachte. Auf den Grill wurde nun eine riesige Paellapfanne gestellt, die mindestens einen Meter Durchmesser hatte. Mehrere Männer waren mit Brutzeln beschäftigt. Es duftete verführerisch.

»Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen«, sagte Clara und übersetzte gleich für das Lyoner Paar: »Ca fait l’eau a la bouche.«
»Oui, oui«, stimmten diese zu, gefolgt von einem Wortschwall, von dem die beiden nur die Hälfte verstanden.
Nun wurde die fertige Paellapfanne präsentiert. Zwei kräftige Männer schleppten die Riesenpfanne durch die Tischreihen, damit jeder das vollendete Kochkunstwerk bewundern konnte. Der safrangelbe Reis war kunstvoll dekoriert mit roten Riesengarnelen, Langusten und allerlei Meeresgetier.
»Spanien ist nicht weit«, meinte Jonas.
»Ja, der Einfluss ist unverkennbar. Man merkt das auch an den Dialekten, das Provençalische klingt manchmal ähnlich wie Katalanisch und Valencianisch. Deutlich sieht man den spanischen Einfluss auch, wenn die Frauen bei den traditionellen Festen die alte Festtagstracht anhaben und die Haare kunstvoll hochgesteckt tragen.«
Die große Pfanne wurde zum Grill zurückgebracht, die Paella fachmännisch auf Teller verteilt und an den Tischen serviert. Ein wahres Festmahl!
»Schmeckt genauso gut wie in Spanien.«
Le Repas, das Mittagessen zog sich über den Nachmittag hin. Bis endlich Käse, Dessert, Sekt und Kaffee gereicht waren, schlug die Kirchturmuhr vier…

 

Ein weiterer Auszug aus dem Kriminalroman

… Heute war der Höhepunkt des Fête Votive in Aureille. Das Erntedankfest, das die kleine Gemeinde jedes Jahr zelebriert, ist einmalig. Da mussten Jonas und Clara unbedingt hin. Schon weit außerhalb des Ortes parkten lange Autoschlangen, Menschenmassen pilgerten zum Startplatz des festlich geschmückten Erntedankwagens, der reichlich beladen war mit 300 kg Gemüse, Früchten, Oliven, Knoblauch, Getreide, Lavendel, Sonnenblumen und sonstigen Erzeugnissen, die auf provençalischem Boden gedeihen.
Der Carreto mit dem farbenfroh arrangierten Obst und Gemüse war ein Kunstwerk, das gebührend bewundert und von allen Seiten fotografiert wurde. Nach einer provençalischen Messe setzte sich der Erntedanktross in Bewegung. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Auf Gehsteigen und Tribünen drängten sich dicht an dicht die Zuschauer von nah und fern. Das sonst so stille beschauliche Dorf war von pulsierendem Leben erfüllt.
Angeführt wurde das Defilee von einer Musikgruppe aus Arles. Voraus marschierten die Flötenspieler, gefolgt von Trommlern, Dudelsackbläsern und Sängern. Die etwa zwanzig Musikanten trugen schwarze Hosen mit roten Schärpen und bunten Westen. Die Gassen waren erfüllt vom rhythmischen Klang der Musik. Nach der Musikgruppe reihte sich Kutsche an Kutsche, darin saßen ältere Herrschaften, die Gewänder wie im 19. Jahrhundert anhatten.
Danach kamen Pferdefuhrwerke, auf denen hockten Kinder und Jugendliche, auch sie nach alter Tradition gekleidet. Hinter dem Jungvolk defilierten die Bürger mittleren Alters vorbei. Die Damen trugen schöne Gewänder nach alter Façon der Bürgerinnen von Arles und hatten die Haare kunstvoll hochgesteckt.
Jetzt folgte das Pferdegespann, eine schier endlose Reihe von Pferden, die hintereinander in einer Zugleine eingespannt waren. Geführt wurden sie von Männern mit blauen Hosen, weißen Hemden und gelben Schärpen. Auf den Pferden saßen Frauen im Damensitz, die dem Publikum zuwinkten. Vor lauter Schauen hatten Jonas und Clara versäumt, die Pferde zu zählen. Es waren gefühlte Hundert, die gemeinsam den Erntedankwagen durchs Dorf zogen.

 

Toro Piscine

Für die Jugend ist ein ganz besonderer Höhepunkt das „Toro Piscine“, das Treiben mit den Jungstieren. In der Arena wird ein großes Planschbecken aufgestellt. Wenn die Jungstiere ins Bassin getrieben werden, können die Halbwüchsigen ihr Mütchen kühlen. Erfrischend ist es allemal und Spaß haben alle, die Stiere, die Akteure und die Zuschauer.  Hier zu sehen: